Themen auf dieser Seite:
Suchthafte Internetnutzung
Definition zur suchtassoziierten Internetnutzung
Suchtassoziierte Internetnutzung meint ein Nutzungsverhalten, bei dem zwar klar suchthafte Prozesse beteiligt sind, was jedoch nicht zwangsweise klinisch relevant und somit behandlungsbedürftig sein muss. (Siehe dazu die Erläuterungen im Abschnitt „Merkmale für internetassoziiertes Suchtverhalten“.) Da die suchtassoziierte Internetnutzung jedoch eine klare Beteiligung von Suchtsymptomen aufweist, sollte sie diagnostisch abgeklärt werden.
Merkmale für internetassoziiertes Suchtverhalten
Die diagnostischen Kriterien für Suchtverhalten im Internet sind sehr ähnlich wie jene des suchthaften Substanzkonsums. Also z.B.
Verlangen/Craving
ein gewissermaßen unüberwindbares Verlangen nach der Ausübung eines bestimmten Verhaltens im Internet (z.B. spielen, sich auf sozialen Medien von einem Bild/Video zum nächsten scrollen, Pornos schauen).
Kontrollverlust
Betroffene gehen der Ausübung des Verhaltens nach, obwohl sie wissen, dass dies mit Konflikten verbunden sein wird, z.B. mit schulischem Leistungsabfall, Konflikten mit den Eltern, am Arbeitsplatz usw.
Entzugssymptomatik
Ist die Ausübung des Verhaltens aus welchen Gründen auch immer nicht möglich, entsteht ein starkes emotionales und mitunter auch körperliches Unwohlsein, z.B. innere Unruhe, Aggression bzw. motorische Unruhe, Schwitzen …
Psychosoziale Konflikte
Die Dauerbeschäftigung mit bestimmten Anwendungen im Internet führt zu einem Leistungsabfall in der Schule oder am Arbeitsplatz, zu Spannungen und Streitereien innerhalb der Familie oder am Arbeitsplatz, zu sozialem Rückzug und zunehmender Isolation und im Fall von suchthaften Glücksspiel- oder Shoppingaktivitäten auch zu finanziellen Schwierigkeiten.
Gedankliche Dauerbeschäftigung
Nicht der Alltag mitsamt seinen Verpflichtungen bestimmt die Ausübung des Verhaltens, sondern das Verhalten bestimmt den Alltag. Ist die Ausübung des Verhaltens nicht möglich, wird sie in Gedanken fortgeführt.
Toleranzentwicklung
Für das gleiche Maß an kompensierender Befriedigung ist eine immer höhere Nutzungsdauer erforderlich.
Leidensdruck
Betroffene wissen – oftmals in späteren Phasen der Suchtentwicklung –, dass ihre Verhaltensweisen ein Problem darstellen und ihre Lebensumstände in meist vielfältiger Hinsicht stark beeinträchtigen. Daraus entstehen intrapersonelle Konflikte, Sorgen und bestenfalls Veränderungsabsichten.
Bereiche des Internets mit erhöhtem Suchtpotenzial
Grundsätzlich hat jedes Verhalten, das zur Reduktion innerer Spannungen beiträgt, ein gewisses Potenzial in suchthafter Weise zu entgleisen. Im Internet wurden fünf Bereiche identifiziert, die eine erhöhte Anfälligkeit für die Entwicklung suchthafter Prozesse aufweisen:
• Glücksspiele
• Video-/Computerspiele
• Soziale Medien
• Pornografie
• Einkaufen
Welche Risiko- und Schutzfaktoren für die Entwicklung bzw. Vorbeugung einer suchthaften Internetnutzung sind bekannt?
Risikofaktoren, welche die Entwicklung einer suchthaften Internetnutzung begünstigen, lassen sich grob in folgende drei übergeordnete Ebenen einteilen:
Individuelle Risikofaktoren der jeweiligen Person
Zu den individuellen Risikofaktoren zählen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus. Dies meint eine höhere Ängstlichkeit und emotionale Labilität, wodurch eine Neigung besteht, Situationen häufiger als belastend und überfordernd zu erleben. Auch psychische Erkrankungen (Depressionen, Angststörungen, ADHS etc.) sowie traumatische Erfahrungen begünstigen die Entstehung einer suchthaften Internetnutzung. Versteht man Suchtverhalten als Kompensationsphänomen oder als Mittel zur Reduktion innerer Spannungen, dann verwundert es nicht, dass Personen mit höherem Neurotizismus, mit psychischen Erkrankungen oder Trauma-Erfahrungen eine höhere Affinität für Fluchtorte aufweisen, wie sie im Internet vielfach, rund um die Uhr und überall verfügbar sind. Dort erfahren sie Belohnung, wodurch sich in weiterer Folge automatisierte Verhaltensweisen etablieren, um negative Gemütszustände zu kompensieren – z.B. der Griff zum Smartphone, um zu spielen oder Videos auf Instagram, YouTube & Co. zu schauen.
Mediensozialisation und soziales Umfeld
Auch die Mediensozialisation und Aspekte des sozialen Umfelds können sowohl Risiko- als auch Schutzfaktoren sein. So zeigen Kinder und Jugendliche, die sehr früh begonnen haben, regelmäßig digitale Geräte und Internetanwendungen zu nutzen, ein höheres Risiko für eine spätere suchthafte Nutzung. Umso mehr, wenn damit die Erfahrung verbunden wird, dass Spiele oder soziale Medien einen Zufluchtsort darstellen, der vor sozialer Isolation, Langeweile, Frustration, Traurigkeit oder anderen als unangenehm erlebten Empfindungen schützt. In diesem Zusammenhang spielen bei Kindern und Jugendlichen die Eltern eine wesentliche Rolle in mehrerlei Hinsicht:
- als regulierende und kontrollierende Instanz;
- durch das Familienklima und die Beziehung zu den Kindern, denn diese bestimmen maßgeblich die Motivation des Kindes mit, sich alternative Zufluchtsorte zu suchen;
- und schließlich durch ihre Vorbildwirkung, denn die Medien-Nutzungsintensität der Eltern steht in klarem Zusammenhang mit jener ihrer Kinder.
Spezifische Merkmale konkreter Internetanwendungen
Spezifische Merkmale konkreter Internetanwendungen weisen entsprechende Risikopotenziale auf: ganz allgemein durch die zeit- und ortsungebundene Verfügbarkeit sowie die beinahe grenzenlose Angebotsvielfalt mitsamt ihren Verlockungen zur multiplen Bedürfnisbefriedigung. Darüber hinaus fungieren in bestimmten Anwendungen gezielt implementierte Anreizsysteme als Bindungsfaktoren und erschweren den Ausstieg bzw. Abbruch. Darunter fallen Belohnungs-, aber auch Verpflichtungssysteme in Spielen und sozialen Medien oder auf Einkaufsplattformen.
Beschreibung der Datengrundlage
Wenn nicht anders ausgewiesen, stammen die Zahlen in den Kapiteln Prävalenz und Nutzungsverhalten aus Erhebungen, die im Jahr 2022 in der Steiermark bei rund 3.000 Schüler*innen aller Schultypen ab der 7. Schulstufe sowie bei rund 800 Erwachsenen durchgeführt wurden. Sowohl in der Zielgruppe Schüler*innen als auch in jener der Erwachsenen handelt es sich um repräsentative Querschnitte. Die Erhebung bei den Schüler*innen wurde im Klassenverband im Rahmen einer Unterrichtsstunde im Präsenzmodus als Onlinebefragung durchgeführt und jene der Erwachsenen mittels standardisierter telefonischer Interviews. (Detaillierte Informationen zur Methodik der Erhebungen sind im Studienbericht nachzulesen).
Die Prävalenzschätzung zur suchtassoziierten Internetnutzung erfolgte auf Grundlage der deutschsprachigen Fassung des anerkannten Screeninginstruments Compulsive Internet Use Scale auf Basis einer validierten Klassifikation. Für nähere Erläuterungen dazu siehe Infobox „Screeninginstrumente“. Auch wenn das Instrument anerkannt ist, bleibt es ein Screeningverfahren, d.h. es ist nicht mit diagnostischen Interviews gleichzusetzen. Das Ergebnis des Screenings ist eine Klassifikation der Befragten in die Gruppen „Unauffällig“ oder „Auffällig“ (im Sinne von „das Internet suchtassoziiert nutzend“). Ein allfälliges Vorliegen der Diagnose „Internetnutzungsstörung“ kann mangels diagnostischer Interviews daraus nicht abgeleitet werden.
Im Rahmen des Berichts werden Screeningergebnisse von
suchtassoziierter Internet- bzw. Gerätenutzung,
Die suchtassoziierte Internet- bzw. Gerätenutzung wurde mittels Compulsive Internet Use Scale (CIUS) nach Maßgabe der deutschsprachigen 7-Item-Kurzform von Bischof et al. gescreent und deren Validierung durch Besser et al. Folgende Suchtkriterien sind dabei berücksichtigt: Kontrollverlust, resultierende Konflikte, gedankliche Eingenommenheit, Bewältigungsmechanismus. Als Cut-off-Score zur Klassifikation wurde ein Summen-Score von 13 definiert (Sensitivität von 0,81; Spezifität von 0,97; siehe Besser et al., 2017). Die interne Konsistenz der Skala ist gut und beträgt 0,84 (Cronbachs Alpha).
Schlafstörungen und
Schlafstörungen wurden mittels Insomnia Severity Index (ISI) nach Maßgabe der deutschen Übersetzung und Validierung von Gerber et al. gescreent. Kriterien sind Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeiten, frühzeitiges Erwachen, subjektive Schlafzufriedenheit, mit dem Schlaf assoziierter Leidensdruck sowie assoziierte Beeinträchtigungen von Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden. Die interne Konsistenz der Skala ist gut und beträgt 0,80 (Cronbachs Alpha).
Angststörungen dargestellt.
Angststörungen wurden gescreent mittels Generalized Anxiety Disorder Screener (GAD-7) nach Maßgabe der deutschen Übersetzung von Löwe et al. und deren Validierung von Mossman et al. GAD-7 orientiert sich an den zentralen diagnostischen Kriterien für Angststörungen aus DSM-IV und ICD-10. Als Cut-off zur Klassifikation wurde ein Summen-Score von 11 definiert (nach Maßgabe der Validierung in einer Population aus Jugendlichen mit durch strukturierte Interviews bestätigten generalisierten Angststörungen von Mossman et al., 2017). Die interne Konsistenz der Skala ist exzellent und beträgt 0,91 (Cronbachs Alpha).
Im Fragebogen konnten Schüler*innen folgende Angaben zum Geschlecht machen :
- Männlich
- Weiblich
- Anders → Wie? _______________
- Keine Angabe
Personen, die unter Geschlecht „Anders“ angaben, konnten unter „Wie“ die genaue Bezeichnung ihrer Geschlechtszugehörigkeit frei wählen. Diese Personen werden auf den folgenden Seiten als Personen mit „nicht binärer Geschlechtszuordnung“ bezeichnet.
Der Großteil der Zahlen und Texte zu den Prävalenzen und zum Nutzungsverhalten dieses Berichtes wurde vom Institut x-sample aufbereitet bzw. erstellt und stammt aus der Studie Prävalenzschätzung und Strategieentwicklung zur suchtassoziierten Internetnutzung in der Steiermark. Diese wurde im Auftrag des Gesundheitsfonds Steiermark erstellt.
x-sample Sozialforschung, Marktforschung, Evaluation
www.x-sample.at
Ansprechperson: Mag. Thomas Lederer-Hutsteiner
Aktualisiert am 23.11.2023